Pressemitteilungen Fraktion
10. 07. 2011
Frage: Trotz Finanzkrise steht Deutschland wirtschaftlich glänzend da. Die Koalition, die dieses glückliche Land regiert, gibt dagegen eine schlechte Figur ab und macht vor allem durch Meinungsverschiedenheiten von sich reden. Wer ist schuld, Herr Brüderle?
BRÜDERLE: Wir sollten unsere Erfolge selbstbewusster verkaufen, da gebe ich Ihnen Recht. Manche Debatte überdeckt die gute Zusammenarbeit in der Koalition. Aber die er die Regierung steht auch vor so vielen Herausforderungen wie nie eine Regierung vor ihr: Eurokrise, Finanzmarktkrise, wir sind gesellschaftlich und wirtschaftlich in einer historischen Umbruchphase.
Frage: Unterhöhlen diese Umbrüche die Voraussetzungen für eine bürgerliche Politik?
BRÜDERLE: Sie machen Politik generell schwieriger, nicht nur bürgerliche. Und das weltweit. Der Philosoph Lichtenberg hat einmal gesagt: "Es gärt. Ob es Essig wird oder Wein wissen wir noch nicht."
Frage: Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre hatte die Regierung Kohl doch mindestens ebenso große Umbrüche zu bewältigen. Damals hat eine bürgerliche Regierung damit gepunktet, Deutschland durch diesen Umbruch zu führen. Warum gelingt Ihnen das nicht?
BRÜDERLE: Das gelingt uns doch, sonst würde unser Land heute nicht so gut dastehen. Sie müssen auch sehen: Anfang der Neunziger Jahre waren die Voraussetzungen andere. Politik fand in einem überschaubaren Raum mit einer stärkeren emotionalen Bindung statt, der Wiedervereinigung unseres Vaterlands. Jetzt handeln wir in weltweiten, schwer überschaubaren Strukturen. Wir können weniger selbst gestalten.
Frage: Ist der Unterschied nicht eher, dass es damals ein klares, von der Regierung formuliertes Ziel und Führungsfiguren gab, die wussten, was sie wollten?
BRÜDERLE: Es war einfacher, weil es begrenzt war auf die nationale Frage. Wir können Europa nicht allein von Berlin aus gestalten. Da sind andere Mächte, andere Faktoren mitentscheidend.
Frage: Das klingt nach einer Bankrotterklärung der Politik. Bezieht sich das auch auf das Verhältnis von Staat und Markt? Wo ist bei einer Politik, die gegenüber dem Markt um Gestaltungsmacht ringt, noch Raum für eine liberale Politik?
BRÜDERLE: Nein, das ist keine Bankrotterklärung. Aber das ist der Kern: Die Märkte, die wirtschaftlichen Realitäten sind weiter als die staatlichen Strukturen. Wie schaffen wir es, die staatlichen Strukturen, die sich nicht parallel entwickelt haben, einer globalisierten Wirtschaft und Finanzwelt anzupassen?
Frage: Gerade weil alles unübersichtlich ist, will der Bürger doch von der Politik wissen, wo es hingeht.
BRÜDERLE: Er will aber auch stärker beteiligt werden. Das sehen Sie am Beispiel "Stuttgart 21". Da merken wir, dass etwas in der Kommunikation zwischen Bürger und Staat nicht stimmt. Da demonstrieren ja nicht nur Radikale. Alle Parteien haben Probleme, die Bürger zu erreichen.
Frage: In der Finanzkrise bemüht sich die Regierung doch gar nicht um die notwendige öffentliche Diskussion. Man hat doch viel zu viel Angst, die Märkte zu beunruhigen, wenn man die Probleme offen anspricht.
BRÜDERLE: In der Tat gibt es da eine Diskrepanz zwischen Marktstrukturen und staatlichen Handlungsrahmen.
Frage: Wie weit ist die Euro-Politik denn überhaupt noch Konsens in Ihrer Partei? Der Abgeordnete Frank Schäffler fordert ja fast täglich, Griechenland aus der Euro-Zone auszuschließen.
BRÜDERLE: Auch in der Union gibt es Vereinzelte, die ähnlich denken. Hier stehen wir ja auch vor schwierigen Entscheidungen, die uns allen nicht leicht fallen. Aber eines ist auch klar: Die FDP ist und bleibt Europa-Partei.
Frage: Auf dem Parteitag bekam Schäffler immerhin ein Viertel der Delegiertenstimmen für seinen Antrag.
BRÜDERLE: Drei Viertel der über 600 Delegierten haben aber auch dagegen gestimmt. Bei uns wird offen diskutiert, andere Parteien diskutieren gar nicht.
Frage: Die FDP hat in einem aufwühlenden Prozess einen personellen und inhaltlichen Neuanfang beschlossen. Personell ist das zum Teil geschehen, inhaltlich sehen wir die alte Steuerdebatte. Ist das wirklich ein Neustart?
BRÜDERLE: Das Freiheitsthema Steuergerechtigkeit ist doch gerade im Aufschwung aktuell. Es ist nicht in Ordnung, dass am Aufschwung nur die Unternehmen und die Finanzminister teilhaben! Irgendwann muss auch der Bürger beteiligt werden. Es geht um die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, um eine starke Binnennachfrage und um stabiles Wachstum.
Frage: Sechs Unionsministerpräsidenten haben schon ihre Skepsis geäußert. Der Finanzminister lässt Zweifel aufscheinen, ob er da mitmacht. Es sieht nicht so aus, als würde Ihr Koalitionspartner das genauso energisch verfolgen wie Sie.
BRÜDERLE: Im Gegenteil. Das Kabinett hat beschlossen, dass es zu einer Entlastung Anfang 2013 kommt. Es ist richtig, vor der Festlegung des Volumens die Schätzungen im Herbst abzuwarten. Ich habe keinen Zweifel, dass der Koalitionspartner seine Zusagen halten und der Finanzminister das auch korrekt umsetzen wird.
Frage: Und wie wollen Sie die Opposition im Bundesrat überzeugen?
BRÜDERLE: Ich bin gespannt, mit welchen Argumenten die SPD den Arbeitnehmern ihren Anteil an der Aufschwungsdividende verweigern will. Das wird eine interessante Debatte.
Frage: Geht die CDU eigentlich angemessen mit ihrem kleinen Koalitionspartner um?
BRÜDERLE: Auf Fraktionsebene arbeiten Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und ich hervorragend zusammen. Die Koalition insgesamt kann in der Kommunikation nach außen besser werden.
Frage: Im Kabinett fällt es dem neuen Parteivorsitzenden Rösler ja eher schwer, sich Respekt zu erarbeiten.
BRÜDERLE: Niemand sollte Philipp Rösler unterschätzen. Er verschafft sich durch Argumente und Entscheidungen Respekt. Er braucht keine lauten Töne, um sich durchzusetzen.
Frage: War es richtig, bei der Entmachtung von Guido Westerwelle auf halbem Weg stehenzubleiben?
BRÜDERLE: Guido Westerwelle konzentriert sich voll auf seine wichtige Arbeit als Außenminister. Er ist zwar nicht mehr Kapitän, aber weiter wichtig für die Mannschaft. Man muss auch ihm gegenüber fair sein. Man kann Fehlentwicklungen nicht bei einer Person abladen.
Frage: Ist denn Schwarzgelb überhaupt noch die Wunschkoalition der Liberalen? Ihre Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger flirtet schon öffentlich mit der SPD und erinnert an die guten, alten sozialliberalen Zeiten.
BRÜDERLE: Diese Koalition ist für vier Jahre gewählt. Wir wollen den gemeinsamen Erfolg. Ich werde alles tun, damit diese Koalition eine gute Bilanz hat und ihren Wählerauftrag erfüllt.
Frage: Dass die CDU auf einen grünen Koalitionspartner schielt, stört Sie nicht?
BRÜDERLE: Die CDU kann hinschauen, wohin sie will. Da gibt es bei mir keine Eifersuchtsszenen.
Frage: Haben Sie denn den Eindruck, dass Sie noch der Wunschpartner der Union sind?
BRÜDERLE: Mir genügt, dass wir gut zusammenarbeiten und respektiert werden. Man muss in der Politik nicht jeden Tag geliebt werden.
BRÜDERLE-Interview für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung"
BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Christiane Hoffmann und Dr. Eckart Lohse:Frage: Trotz Finanzkrise steht Deutschland wirtschaftlich glänzend da. Die Koalition, die dieses glückliche Land regiert, gibt dagegen eine schlechte Figur ab und macht vor allem durch Meinungsverschiedenheiten von sich reden. Wer ist schuld, Herr Brüderle?
BRÜDERLE: Wir sollten unsere Erfolge selbstbewusster verkaufen, da gebe ich Ihnen Recht. Manche Debatte überdeckt die gute Zusammenarbeit in der Koalition. Aber die er die Regierung steht auch vor so vielen Herausforderungen wie nie eine Regierung vor ihr: Eurokrise, Finanzmarktkrise, wir sind gesellschaftlich und wirtschaftlich in einer historischen Umbruchphase.
Frage: Unterhöhlen diese Umbrüche die Voraussetzungen für eine bürgerliche Politik?
BRÜDERLE: Sie machen Politik generell schwieriger, nicht nur bürgerliche. Und das weltweit. Der Philosoph Lichtenberg hat einmal gesagt: "Es gärt. Ob es Essig wird oder Wein wissen wir noch nicht."
Frage: Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre hatte die Regierung Kohl doch mindestens ebenso große Umbrüche zu bewältigen. Damals hat eine bürgerliche Regierung damit gepunktet, Deutschland durch diesen Umbruch zu führen. Warum gelingt Ihnen das nicht?
BRÜDERLE: Das gelingt uns doch, sonst würde unser Land heute nicht so gut dastehen. Sie müssen auch sehen: Anfang der Neunziger Jahre waren die Voraussetzungen andere. Politik fand in einem überschaubaren Raum mit einer stärkeren emotionalen Bindung statt, der Wiedervereinigung unseres Vaterlands. Jetzt handeln wir in weltweiten, schwer überschaubaren Strukturen. Wir können weniger selbst gestalten.
Frage: Ist der Unterschied nicht eher, dass es damals ein klares, von der Regierung formuliertes Ziel und Führungsfiguren gab, die wussten, was sie wollten?
BRÜDERLE: Es war einfacher, weil es begrenzt war auf die nationale Frage. Wir können Europa nicht allein von Berlin aus gestalten. Da sind andere Mächte, andere Faktoren mitentscheidend.
Frage: Das klingt nach einer Bankrotterklärung der Politik. Bezieht sich das auch auf das Verhältnis von Staat und Markt? Wo ist bei einer Politik, die gegenüber dem Markt um Gestaltungsmacht ringt, noch Raum für eine liberale Politik?
BRÜDERLE: Nein, das ist keine Bankrotterklärung. Aber das ist der Kern: Die Märkte, die wirtschaftlichen Realitäten sind weiter als die staatlichen Strukturen. Wie schaffen wir es, die staatlichen Strukturen, die sich nicht parallel entwickelt haben, einer globalisierten Wirtschaft und Finanzwelt anzupassen?
Frage: Gerade weil alles unübersichtlich ist, will der Bürger doch von der Politik wissen, wo es hingeht.
BRÜDERLE: Er will aber auch stärker beteiligt werden. Das sehen Sie am Beispiel "Stuttgart 21". Da merken wir, dass etwas in der Kommunikation zwischen Bürger und Staat nicht stimmt. Da demonstrieren ja nicht nur Radikale. Alle Parteien haben Probleme, die Bürger zu erreichen.
Frage: In der Finanzkrise bemüht sich die Regierung doch gar nicht um die notwendige öffentliche Diskussion. Man hat doch viel zu viel Angst, die Märkte zu beunruhigen, wenn man die Probleme offen anspricht.
BRÜDERLE: In der Tat gibt es da eine Diskrepanz zwischen Marktstrukturen und staatlichen Handlungsrahmen.
Frage: Wie weit ist die Euro-Politik denn überhaupt noch Konsens in Ihrer Partei? Der Abgeordnete Frank Schäffler fordert ja fast täglich, Griechenland aus der Euro-Zone auszuschließen.
BRÜDERLE: Auch in der Union gibt es Vereinzelte, die ähnlich denken. Hier stehen wir ja auch vor schwierigen Entscheidungen, die uns allen nicht leicht fallen. Aber eines ist auch klar: Die FDP ist und bleibt Europa-Partei.
Frage: Auf dem Parteitag bekam Schäffler immerhin ein Viertel der Delegiertenstimmen für seinen Antrag.
BRÜDERLE: Drei Viertel der über 600 Delegierten haben aber auch dagegen gestimmt. Bei uns wird offen diskutiert, andere Parteien diskutieren gar nicht.
Frage: Die FDP hat in einem aufwühlenden Prozess einen personellen und inhaltlichen Neuanfang beschlossen. Personell ist das zum Teil geschehen, inhaltlich sehen wir die alte Steuerdebatte. Ist das wirklich ein Neustart?
BRÜDERLE: Das Freiheitsthema Steuergerechtigkeit ist doch gerade im Aufschwung aktuell. Es ist nicht in Ordnung, dass am Aufschwung nur die Unternehmen und die Finanzminister teilhaben! Irgendwann muss auch der Bürger beteiligt werden. Es geht um die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, um eine starke Binnennachfrage und um stabiles Wachstum.
Frage: Sechs Unionsministerpräsidenten haben schon ihre Skepsis geäußert. Der Finanzminister lässt Zweifel aufscheinen, ob er da mitmacht. Es sieht nicht so aus, als würde Ihr Koalitionspartner das genauso energisch verfolgen wie Sie.
BRÜDERLE: Im Gegenteil. Das Kabinett hat beschlossen, dass es zu einer Entlastung Anfang 2013 kommt. Es ist richtig, vor der Festlegung des Volumens die Schätzungen im Herbst abzuwarten. Ich habe keinen Zweifel, dass der Koalitionspartner seine Zusagen halten und der Finanzminister das auch korrekt umsetzen wird.
Frage: Und wie wollen Sie die Opposition im Bundesrat überzeugen?
BRÜDERLE: Ich bin gespannt, mit welchen Argumenten die SPD den Arbeitnehmern ihren Anteil an der Aufschwungsdividende verweigern will. Das wird eine interessante Debatte.
Frage: Geht die CDU eigentlich angemessen mit ihrem kleinen Koalitionspartner um?
BRÜDERLE: Auf Fraktionsebene arbeiten Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und ich hervorragend zusammen. Die Koalition insgesamt kann in der Kommunikation nach außen besser werden.
Frage: Im Kabinett fällt es dem neuen Parteivorsitzenden Rösler ja eher schwer, sich Respekt zu erarbeiten.
BRÜDERLE: Niemand sollte Philipp Rösler unterschätzen. Er verschafft sich durch Argumente und Entscheidungen Respekt. Er braucht keine lauten Töne, um sich durchzusetzen.
Frage: War es richtig, bei der Entmachtung von Guido Westerwelle auf halbem Weg stehenzubleiben?
BRÜDERLE: Guido Westerwelle konzentriert sich voll auf seine wichtige Arbeit als Außenminister. Er ist zwar nicht mehr Kapitän, aber weiter wichtig für die Mannschaft. Man muss auch ihm gegenüber fair sein. Man kann Fehlentwicklungen nicht bei einer Person abladen.
Frage: Ist denn Schwarzgelb überhaupt noch die Wunschkoalition der Liberalen? Ihre Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger flirtet schon öffentlich mit der SPD und erinnert an die guten, alten sozialliberalen Zeiten.
BRÜDERLE: Diese Koalition ist für vier Jahre gewählt. Wir wollen den gemeinsamen Erfolg. Ich werde alles tun, damit diese Koalition eine gute Bilanz hat und ihren Wählerauftrag erfüllt.
Frage: Dass die CDU auf einen grünen Koalitionspartner schielt, stört Sie nicht?
BRÜDERLE: Die CDU kann hinschauen, wohin sie will. Da gibt es bei mir keine Eifersuchtsszenen.
Frage: Haben Sie denn den Eindruck, dass Sie noch der Wunschpartner der Union sind?
BRÜDERLE: Mir genügt, dass wir gut zusammenarbeiten und respektiert werden. Man muss in der Politik nicht jeden Tag geliebt werden.
Download der gesamten Pressemitteilung im PDF-Format:
675-Bruederle-FASZ-Interview.pdf (2011-07-10, 152.60 KB)